Intrigen und Amouren an der Loire
Die Schlösser von Meillant, Loches, Valencay und Bouges
vereinen Schönheit und Geschichte der Landschaft
Die Marquise de Mortemart rückt ein wenig hin und her,
bis sie eine bequeme Position gefunden hat. Zufrieden lässt
sie den Kopf im Liegstuhl nach hinten sinken. Ihrer Schwiegertochter,
die sie auf den Rasen verfrachtet hat, schenkt sie ein Lächeln.
Plötzlich zerschneiden laute Stimmen die Stille. Die
90jährige hebt unter dem breitkrampigen Hut eine Augenbraue.
Dann rümpft sie die Nase. Da ist er wieder, der Odem
des Volks. "Es riecht nach Touristen", hat sie einmal
bei ähnlicher Gelegenheit festgestellt. Rund 30.000 davon
trampeln Jahr für Jahr in den Park, bevor sie durch die
Gemächer des Château de Meillant getrieben werden.
Für das Tal der Loire, wo so manches Schloss mehr als
100.000 Besucher pro Jahr über die Zugbrücke lockt,
ist das nicht besonders viel. Die Konkurrenz ist groß:
Keine Viertelstunde kann man durch diese liebliche Landschaft
fahren, ohne einen mittelalterlichen Festungsturm, ein elegantes
Herrenhaus oder ein zierliches Renaissance-Schloss am Wegrand
zu sehen.
Die Marquise schließt die Augen. Nichts ist
mehr, wie es einmal war. Um den gotischen Prachtbau aus dem
14. Jahrhundert einigermaßen in Schuss zu halten, muss
ihr Sohn und Erbe dem Volk ein paar Euro pro Person Einlass
gewähren. Nur noch acht der 81 Zimmer bewohnt die Familie.
Doch Besitz verpflichtet, und so ist der Marquis sogar willens,
Besuchern mit Erläuterungen zur Seite zu stehen, wenn
es sein muss.
Er zeigt das Chambre d'Honneur, in dem einst Ludwig XII. nächtigte,
das Esszimmer mit den Ledertapeten aus Córdoba, in
dem zu besonderen Anlässen noch immer getafelt wird,
und den 20 Meter langen Salon mit Spieltischen und einer Galerie
für Musiker. Auf dem Flügel liegt eine Flinte. Sie
dient aber eher der Dekoration denn der Bedrohung Musizierender.
Ludwig XVI. schenkte das silberbeschlagene Jagdgewehr seinem
Bruder, dem späteren Ludwig XVIII., zur Hochzeit. "Würde
ich das verkaufen, könnte ich ein ganzes Dach reparieren
lassen", seufzt der Marquis und schüttelt zugleich
den Kopf. Den Ausverkauf des Familienbesitzes will er trotz
haarsträubender Instandhaltungskosten vermeiden.
Ein
Porträt neben dem Kamin zeigt die Marquise de Montespan.
Nur zögernd rückt der Hausherr mit der Sprache heraus:
Er ist ein direkter Nachfahre des Bruders dieser berühmten
Mätresse vom Sonnenkönig Ludwig XIV. Ehebruch in
der eigenen Ahnenreihe - das schmerzt, auch wenn die üble
Tat über 300 Jahre zurückliegt.
Dabei haben einige Standesgenossen des Marquis noch ganz andere
Leichen im Keller. In der Festungsanlage des mittelalterlichen
Städtchens Loches an der Indre hielt Ludwig XII. ab 1499
im Verlies des Martelet-Turms Ludovico Sforza, den Grafen von
Mailand, als Kriegsgefangenen fest. Vier Jahre saß der
Freund und Gönner Leonardo da Vincis hier ein. Verblasste
Zeichnungen an den Wänden - sein Familienwappen, ein
Helm, Kanonen und die Inschrift "Ich bin nicht zufrieden"
- zeugen von seinen Versuchen, die Zeit totzuschlagen. Der
Legende zufolge brach er bei seiner Freilassung im ungewohnten
Tageslicht tot zusammen. Wahrscheinlicher ist, dass er in
der Zelle einem Giftmord zum Opfer fiel. Die gräflichen
Haftbedingungen wirken dennoch privilegiert im Vergleich zu
den Folter- und Gefangenenkammern des Donjon, des 36 Meter
hohen Burgfrieds, wo Häftlinge in Käfigen gehalten
und auf Streckbänken oder in kiloschweren Halsschellen
gemartert wurden. Schon der mutmaßliche Erbauer der
Anlage, Foulques Nerra, der Graf von Anjou, pflegte raue Sitten.
Verstimmt über die Untreue seiner Gemahlin, ließ
er sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Kaum verwunderlich ist es da, dass auch den Monarchen, die
zunächst ebenfalls im Donjon lebten, dieses Ambiente
zu moderig wurde. Sie verließen den Schutz der dicken
Festungsmauern, die fortan nur noch als Kerker genutzt wurden,
und bauten sich am anderen Ende der Stadt eine zwar wehrhafte,
aber doch lieblichere Königsresidenz. Vom einstigen Glanz
ist außer Gemälden und Wandteppichen in erster
Linie der schöne Blick ins Tal der Indre geblieben. Der
Rest sind steinerne Gemächer und rauschhafte Erinnerungen.
So erlebte Karl VII. hier eindrückliche Begegnungen mit
diversen jungen Frauen. An das Zusammentreffen des künftigen
Königs mit Johanna von Orléans erinnert eine Steinplatte
im Großen Saal, die vermerkt, die Jungfrau habe hier
im Juni 1429 in der Endphase des 100jährigen Kriegs gegessen,
getanzt und auf Stroh geschlafen. Später schleifte sie
den zaudernden Dauphin praktisch an den Haaren zur Krönung
nach Reims.
Nette außereheliche Schäferstündchen verbrachte
der Monarch hier später mit der schönen Agnès
Sorel. Dabei allein blieb es nicht. Für jedes Kind, das
sie ihm schenkte, revanchierte Karl sich mit einem Schloss,
von denen aber keines die Zeit überdauert hat. Mit 28
Jahren starb sie bei der Geburt der vierten Tochter, doch
mit dem "Turm der schönen Agnès" und
der Grabstätte, die sie in Lebensgröße und
von zwei Engeln flankiert darstellt, ist ihr ein Denkmal gesetzt.
Auch als die französischen Monarchen sich nicht mehr
vor der englischen Bedrohung im Loire-Tal verschanzten, sondern
ohne Furcht in den Schlössern rund um Paris residierten,
war die schwunghafte Bautätigkeit im Herzen des Landes
nicht beendet. Zu schön war die milde Landschaft mit
dem angenehmen Klima, ein Lustschloss an der Loire oder ihren
Nebenflüssen unverzichtbar für jene, die es sich
leisten konnten. Die Französische Revolution brachte
außerdem zahlreiche Herrensitze alter Adelsfamilien
auf den freien Markt.
So befahl Napoleon Bonaparte eines Morgens seinen Außenminister
und Großkämmerer Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord
zu sich. Er möge einen Landsitz kaufen, beschied Napoleon
ihm, und solle sich dabei nicht lumpen lassen. Es gelte, einen
passenden Rahmen für diplomatische Anlässe zu schaffen;
auch solle er sehen, dass ausländische Gesandte durch
die Grandeur dieses Bauwerks gehörig beeindruckt, oder
besser noch: verstört würden. Teuer sei das? Ach
was, nötigenfalls würde er Talleyrand was zuschießen.
Die Wahl des Ministers fiel auf das Château de Valencay,
einen Prunkbau in der Touraine, dessen Architektur mit imposanten
Rundtürmen und einem alles überstrahlenden Pavillon
als Eingang von den berühmten Loire-Schlössern Chambord
und Chenonceau inspiriert ist.
Valencay wurde zur Kulisse
glanzvoller Feste und verschwiegener Affären politischer
wie romantischer Natur. Für Talleyrand selbst bedeutete
das alles aber auch Arbeit. "Zerstreuung und Überwachung"
hatte sein Chef etwa für die drei spanischen Prinzen
angeordnet, die er von 1808 bis 1814 aufnehmen musste. Für
die Spanier brachte die Verbannung nach Valencay denn auch
durchaus Kurzweil. Bei Sommerbällen klampften Gitarristen
Boleros für die Prinzen, und der junge Don Carlos nahm
gelegentlich die Geheimtreppe, die direkt ins Musikzimmer
der schönen Madame Talleyrand führte, um ein wenig
mit der Hausherrin zu flirten.
Ihr Gatte hatte derweil den Kopf voll mit anderen Dingen:
Da waren die politischen Angelegenheiten und seine reizende
angeheiratete Nichte, die Herzogin Dorothée von Dino,
die seine Aufmerksamkeit beanspruchten. Viermal pro Woche
musste er außerdem auf Napoleons Geheiß ein Dîner
für drei Dutzend Gäste geben. "Mahlzeiten sind
zu Regierungsangelegenheiten geworden, und das Schicksal der
Völker entscheidet sich während eines Banketts",
seufzte er einmal. Zum Glück stand ihm Küchenchef
Carême zur Seite, der fast so viel Ruhm erwarb wie Talleyrand
selbst. Speisesaal, Küche und Keller beweisen, dass hier
nichts dem Zufall überlassen wurde - vom Tranchiertisch
aus versilbertem Metall bis zum Eiskeller im Park ist alles
da, was ein gepflegtes Essen erfordert.
Bis heute ist das Château im Besitz der Nachfahren Talleyrands.
Das sieht man ihm allerdings nicht mehr an. Dafür wird
Valencay zu professionell als historischer Amüsierbetrieb
geführt - mit Schauspielern, die Anekdoten aus der Vergangenheit
nachspielen, einem Tierpark im Landschaftsgarten und Filmvorführungen,
die Besuchern die Geschichte von Schloss und Land nahe bringen
sollen. Die der Öffentlichkeit zugänglichen Räume
sind vollgestopft mit den Möbeln und persönlichen
Gegenständen des berühmtesten Hausherrn - darunter
auch der spezielle Schuh, den der gehbehinderte Staatsmann
sein Leben lang trug.
Talleyrand zählte außerdem zur langen Reihe der
Besitzer des Château de Bouges. Von 1818 bis 1824 gehörte
ihm der elegante Landsitz, dem Lustschlösschen Petit
Trianon zu Versailles ähnlich, auf dessen Grundstück
einst eine wehrhafte Burg aus dem 13. Jahrhundert stand. Der
Fabrikant und Aufsteiger Charles-Francois Leblanc de Marnaval
ließ das alte Schloss gegen etwas Zeitgemäßeres
austauschen, bevor er es durch einen Bankrott wieder verlor.
Als der letzte Besitzer, Henry Viguier, Bouges 1917 kaufte,
erinnerten an Talleyrands Zeiten nur noch zwei Stühle
im Raucherzimmer. Auch sonst war wenig geblieben, so dass
die Viguiers, Eigentümer eines Pariser Kaufhauses, sich
in den folgenden 50 Jahren ganz ihrer Leidenschaft für
das Sammeln von Antiquitäten widmen konnten.
Trotz der Eleganz seiner Architektur und der Schönheit
des Interieurs macht Bouges den Eindruck eines sterbenden
Hauses. 12.000 Besucher im Jahr stören es in seiner Ruhe,
doch genauso wenig wie die frischen Blumen, die Madame Maldent
und Madame Biaud Woche für Woche in jedes der 45 Zimmer
stellen, vermögen sie die Grabesstille zu beleben. Noch
immer einmalig ist der Blick aus den Fenstern: in die französischen
Gärten mit Blütenfluten und Ornamenten aus Buchsbaum,
auf die 350 Jahre alte Zeder und den englischen Landschaftspark
Staubkörner tanzen in der Sonne, als die Führerin
die Läden öffnet, und das Licht offenbart schwere
Nähte, wo die bis zum Boden reichenden Vorhänge
geflickt wurden. Von den Gemälden an den Wänden
schweigen Tote herab.
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